Der Dirigent Lahav Shani über die Arbeitsweise von Terrorist:innen – und welche Gegenstrategien möglich sind:
»Die Terroristen der Hamas beobachteten, dass wir in Israel nicht einmal mehr versuchten, miteinander zu diskutieren. Sie sahen diesen Moment der Zerrissenheit und Schwäche und erkannten ihn als den Moment, von dem sie immer geträumt hatten: den Moment zum Zuschlagen, um uns an unserem schwächsten Punkt zu treffen. (…) Es war auch so wichtig und gut, wie schnell und deutlich die deutsche Regierung [nach dem 7. Oktober] klar für Israel und gegen die Pro-Hamas-Demonstrationen Stellung bezog. Und auch in Israel war für einen Augenblick plötzlich wieder Einigkeit. Viele erkannten, wie angreifbar wir uns durch die Polarisierung der Gesellschaft selber gemacht hatten – und wie stark dieser Moment der Schwäche unsere Gegner gemacht hatte. Sie agierten extrem und kalkulierten genau ein, wie Israel reagieren würde, um das für ihre Propaganda zu nutzen.
Und dann kam die größte und bitterste Enttäuschung meines Lebens: dass Menschen jeglicher politischer Richtung auf der ganzen Welt aufgehört haben zu denken. Ich verstehe das Bedürfnis, Solidarität zu zeigen mit den Schwachen und Unterdrückten. Ich weiß auch, dass Israel sich in den letzten Jahren nicht mehr genug bemüht hat, um eine Lösung des Konflikts zu erreichen. Dass so viele Menschen aber aufgehört haben, mehr als eine Informationsquelle zu nutzen, macht mich fassungslos. Dass sie alles, was sie zu glauben wissen und zu ihrer Realität machen, aus Facebook, Instagram und aus Gerüchten beziehen. Dass sie sich aufhetzen lassen. Dass sie so starke Gefühle haben, aber den einen, entscheidenden Schritt nicht machen wollen – und zwar den, die Wahrheit hinter der Propaganda herauszufinden oder wenigstens beide Seiten zu hören.
In diesen Zeiten, während Iran und Hisbollah uns bedrohten, mit Raketen beschießen wollten, Mahlers Dritte Sinfonie in Israel zu spielen, war unglaublich – an drei Tagen hintereinander, vor vollem Haus. Die Menschen sind trotzdem gekommen, weil sie das Gefühl von Einigkeit brauchten. Weil sie zusammen fühlen und denken, sich auf die Menschlichkeit auf diesem hohen Niveau fokussieren wollten, das nur in der Musik möglich ist. Das war für mich ein wirklich neuer Aspekt von Musik und davon, was Musik kann. Die Gefahr war so real. Aber das Gefühl der Zusammengehörigkeit war noch realer.«