… daß auch ich mich halten würde, wenn Alles mich sinken läßt

Eine ganz berühmte Passage: Kleists Gedanken über das Gewölbe, aufgeschrieben im Brief an Wilhelmine von Zenge vom 16. November 1800:

Ich gieng an jenem Abend vor dem wichtigsten Tage meines Lebens in Würzburg spatzieren. Als die Sonne herabsank war es mir als ob mein Glück untergienge. Mich schauerte wenn ich dachte, daß ich vielleicht von Allem scheiden müßte, von Allem, was mir theuer ist. Da gieng ich, in mich gekehrt, durch das gewölbte Thor, sinnend zurück in die Stadt. Warum, dachte ich, sinkt wohl das Gewölbe nicht ein, da es doch keine Stütze hat? Es steht, antwortete ich, weil alle Steine auf einmal einstürzen wollen – u. ich zog aus diesem Gedanken einen unbeschreiblich erquickenden Trost, der mir bis zu dem entscheidenden Augenblicke immer mit der Hoffnung zur Seite stand, daß auch ich mich halten würde, wenn Alles mich sinken läßt. Weiterlesen

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Das ganze schriftstellerische Fach

Kleists Brief an Wilhelmine von Zenge vom 13. November 1800 ist in vielfacher Hinsicht bemerkenswert und berührend. Kleist entdeckt den Gedankenstrich und den unvollständigen Satz, den unterbrochenen und neu gefassten Gedanken, das Assoziative. In seinem Ringen um das, was er sagen will, nähert er sich vielen Figuren seiner späteren Dramen – und dieser Brief wirkt endlich, endlich authentisch. Die disparate Form kommt zur Deckung mit einem disparaten Inhalt.  Kleist kämpft mit sich und verleiht dem Kampf Form. Es ist kein Zufall, dass er in diesem Brief bekennt, dass er Dichter werden will: Da stünde mir nun für die Zukunft das ganze schriftstellerische Fach offen. Weiterlesen

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Kann man Kleists Leben nicht von seinem Ende her denken?

Die neue Kleist-Biographie von Günter Blamberger ist in der Welt, und der Waschzettel schreibt: „In seiner großen Biographie zeichnet Günter Blamberger einen neuen Kleist: Anders als üblich erzählt er nicht vom Ende her, vom Selbstmord, sondern wählt die offene Perspektive, das Präsens, den Augenblick, wie er von Kleist selbst erlebt worden ist.“ Nun lagert der 600-Seiten-Band auf meinem Nachttisch und wartet darauf, gelesen zu werden, und die Zeit bis dahin überbrücke ich mit der Frage: Geht das? Lässt sich ein Leben, das mit einer Katastrophe endete (und keiner möge mir nun mit euphemistischem, romantisierendem „Freitod“-Gequatsche kommen), quasi ergebnisoffen betrachten? Weiterlesen

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Die Ziele der Frauen und die Ziele der Männer

Oh Gott, Kleist schreibt mal wieder über die Frauen.

O lege den Gedanken wie einen diamantenen Schild um Deine Brust: Ich bin zu einer Mutter gebohren! Jeder andere Gedanke, jeder andere Wunsch fahre zurück von diesem undurchdringlichen Harnisch. Was könnte Dir sonst die Erde für ein Ziel bieten, das nicht verachtungswürdig wäre?

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