Vor wenigen Tagen ging’s durch die Presse: Das Kleist-Museum in Frankfurt / Oder hat 26 Briefe von Carl von Zenge erworben, in denen er u.a. Einblicke in das Alltagsleben mit Kleist gewährt, mit dem er von Oktober 1800 bis April 1801 in einer Art Wohngemeinschaft in Berlin lebte.
Nicht nur die Märkische Oderzeitung stellt verwundert fest: „Der 23-jährige Heinrich von Kleist tanzt. Die Vorstellung will nicht recht zum Bild des vergrübelten Genies passen. Mied Kleist Gesellschaften nicht?“ Und man fühlt sich ein bisschen erinnert an die berühmte Ankündigung des „Sterns“ damals bei der Veröffentlichung der gefälschten Hitler-Tagebücher: Die Literaturgeschichte muss neu geschrieben werden!
Kleist mag schüchtern gewesen sein, er hat vielleicht gestottert, zumindest einen Teil seines Lebens. All das schließt aber Tanzen wahrhaftig nicht aus. Man munkelt, es gäbe sogar klinisch depressive Menschen, die einen Tanzkurs absolviert haben.
Abgesehen davon: Die Texte, die ich hier bereits vorgestellt habe und die ich in den nächsten Wochen noch vorstellen werde und die im Zeitraum entstanden sind, aus denen auch die Briefe Carl von Zenges stammen, zeigen Kleists hohe Expressivität, wenn auch manchmal nur zwischen den Zeilen. Wer emphatisch von der Liebe zum Menschen und seinem Streben nach Glück schwärmt, der ist, das behaupte ich einfach mal vollmundig, auch zum Tanzen grundsätzlich befähigt.
Nein, nein – die Literaturgeschichte muss doch nicht neu geschrieben werden.