Propaganda

Kleist hat in seinen letzten Jahren mehrfach versucht, Anschluss zu finden an Strömungen seiner Zeit, und es ist ihm fast immer grandios misslungen. Das Käthchen von Heilbronn macht auf romantisch, Szenen, in denen die männliche Hauptfigur der Titelfigur mit der Peitsche kommt, befremden dann aber (nicht nur) das zeitgenössische Publikum; Penthesilea macht auf klassisch, ist aber mit der extremen Präsenz von Blut auf offener Bühne dem antiken Dramas näher als Goethes und Winckelmanns schöner, wahrer und guter Version der Klassik – auch das konnte nicht gut gehen; und 1808/09 verlegt sich Kleist aufs Nationalistische, u.a. mit der Herrmannsschlacht, und auch das geht in die Hose. Diesmal solls ein Propagandastück werden.

Die Herrmannsschlacht feiert den Krieg der Deutschen gegen die Bösen um sie herum. Der Stoff bezieht sich auf Herrmann den Cherusker und die Römer und die Schlacht im Teutoburger Wald, Kleist bezieht sich natürlich auf Napoleon, Hitler bezog es auf seine Vorstellung vom Deutschen Reich – Heil Herrmann und „Heil Hitler“ klingen ja fast schon identisch.

Kleist beschwor seine diversen potentiellen Verleger und Theaterintendanten, sie sollten doch bitte dieses Stück noch eher in die Welt bringen als das Käthchen (von Penthesilea war in diesen Briefen schon gar nicht mehr die Rede), würde doch Die Herrmannsschlacht unmittelbar reagieren auf die aktuelle politische Lage – ein echtes Zeitstück also. Gespielt und verlegt wurde es dann doch erst lange nach Kleists Tod, als niemand in Deutschland die totale Überwindung durch die Franzosen mehr fürchten musste. Erfolgreich wurde das Stück nie, auch nicht in neuerer Zeit.

Kleists Problem, wenn er sich an den Zeitgeist ranwanzen wollte, war jedes Mal, dass er sich selbst einen Strich durch die Rechnung machte. Die Herrmannsschlacht soll ein Propagandastück sein, das die Deutschen im Kampf gegen die vermeintlichen französischen Invasoren einen soll. Einen Großteil des Stückes – aus heutiger Sicht den spannenderen Teil – machen dabei aber Szenen aus, in denen Kleist den Mechanismus einer Kriegspropagandamaschinerie von innen beschreibt: Herrmann der Cherusker verwendet viel Zeit darauf, die Römer als säuglings- und müttermordende Bestien darzustellen, als Monster, die ihren Opfern die Haare vom Kopf scheren, um ihre eigenen hässlichen Frauen mit blonden angeklebten Haaren zu verschönern.

Wir erhalten Einblick in das Geschäft der Machthaber, denen kein Mittel zu mies und kein Verrat zu groß ist, um einen Krieg zu rechtfertigen, und es ist nicht weit zu George W. Bush und seinen Märchen rund um den Irak mit seinen Atomwaffen und den Verbindungen zu al-Qaida.

In dem Moment aber, in dem ich als Publikum zuschauen darf bei der Erfindung schlimmster Lügen über den Feind, ist es mit meinem Glauben an den Krieg schon vorbei. So schrecklich können die Römer ja wohl nicht sein, wenn die Erfindung so furchtbarer Gräuelmärchen über sie nötig ist. Das Schöne am Theater ist: Ich schaue verschiedenen Menschen zu und mache mir mein eigenes Bild – ein Modell, das für ein Propagandamedium nicht so doll taugt.

So ist Die Herrmannsschlacht letztlich ein ganz furchtbares Stück: Gründlich misslungen, mit entsetzlichen nationalistischen und schrecklich langweiligen Szenen, viel Stoff für die Propagandamaschine der Nationalsozialisten des 20. Jahrhunderts; aber vor allem misslungen, weil Kleist, vermutlich ohne es zu ahnen, das subversive Moment selbst eingebaut hat, weil er im Inneren seines Herzens viel zu sehr am Menschen und seiner Psyche interessiert ist und an den Fragen von Verrat und Lüge, Wahrhaftigkeit und Liebe. Er hat sich, indem er die Propagandamaschinerie, an der er selbst teilhaben wollte, bloßgelegt hat, selbst ein Bein gestellt. Das macht das Stück heute noch spannend und aktuell, und es weckt (mal wieder) Mitleid mit Kleist: Er taugt einfach nicht für die Welt, in der er leben möchte.

Über martinfueg

Martin Füg studierte Neuere Deutsche Literaturwissenschaft und Theaterwissenschaft in Bonn und Erlangen. In Erlangen gründete und leitete er gemeinsam mit Kerstin Bürger und Patrick Fuchs das Freie Theater DWARD. 1999 löste sich DWARD auf. Seit 2000 lebt und arbeitet Martin Füg in Köln. Von 2004 bis 2012 war er Vorsitzender des Bach-Vereins Köln.
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