Nur wenige Briefe von Wilhelmine von Zenge an Kleist sind überliefert, ausgerechnet einer der mutmaßlich letzten vor der Trennung findet sich in der Münchner Ausgabe. Es ist ein trauriger, etwas hilfloser Brief ohne Punkt und Komma, kurz nach dem Tod ihres Bruders geschrieben, mit dem Kleist ja längere Zeit in einer WG in Berlin zusammen gewohnt hatte. „Freuden giebt es jetzt für mich sehr wenig“, schreibt sie, und im ganzen Brief spürt man, dass sie sich von Kleist im Stich gelassen fühlt. „Über zwei Monate war Deine Familie in Gulben, und ich konnte auch nicht einmal durch sie erfahren ob Du noch unter den Sterblichen wandelst oder vielleicht auch schon die engen Kleider dieser Welt mit besseren vertauscht habest. –“
Nein, die Beziehung der beiden stand nie unter einem guten Stern, und ich bezweifle, ob Wilhelmine jemals so etwas wie Glück in Bezug auf Heinrich empfunden hat. Die Zeit, in der sie wirklich zusammen waren, auch im räumlichen Sinne, war sehr begrenzt, im Grunde ist er immer unterwegs gewesen oder auf sichere Distanz zu Frankfurt / Oder. Eine echte Beziehung mit ihr hat er nicht gewollt, unter all seinen Lebensentwürfen kam der ehrliche Entwurf einer gelebten Ehe mit Wilhelmine nicht vor. Der letzte Plan – mit ihr gemeinsam Bauer und Bäuerin in der Schweiz zu werden – war im Grunde nur noch lächerlich und innerhalb kürzester Zeit wieder begraben.
Kleists Sehnsucht nach familiärer Idylle, einem im Grunde sehr überschaubaren Leben innerhalb der üblichen gesellschaftlichen Konventionen, das ihm einen Halt geben könnte, steht im extremen Gegensatz zu seiner tatsächlichen Lebensführung – immer auf der Flucht.
Beide müssen am Ende sehr gelitten haben in dieser Fernbeziehung.
Kleist trennt sich in einem sehr kurzen Brief vom 20. Mai 1802 von ihr und formuliert erneut einen Lebensentwurf, und erneut wird er ihn nicht umsetzen. Er formuliert ihn hart, gegen Wilhelmine und gegen sich selbst:
Ich werde wahrscheinlicher Weise niemals in mein Vaterland zurückkehren. Ihr Weiber versteht in der Regel ein Wort in der deutschen Sprache nicht, es heißt Ehrgeiz. Es ist nur ein einziger Fall in welchem ich zurückkehre, wenn ich der Erwartung der Menschen, die ich in thörigter Weise durch eine Menge von prahlerischen Schritten gereizt habe, entsprechen kann. Der Fall ist möglich, aber nicht wahrscheinlich.
Kleist setzt sich selbst massiv unter Druck, etwas in seinem Leben auf die Reihe zu bekommen. Unter diesem Druck und begleitet von massiven Selbstzweifeln entsteht Die Familie Schroffenstein.
Wilhelmine kommt in seinem neuen Entwurf nicht mehr weiter vor. Der Brief endet mit den Worten:
– Liebes Mädchen, schreibe mir nicht mehr. Ich habe keinen andern Wunsch als bald zu sterben. H. K.