Kleists Brief an Wilhelmine von Zenge vom 13. November 1800 ist in vielfacher Hinsicht bemerkenswert und berührend. Kleist entdeckt den Gedankenstrich und den unvollständigen Satz, den unterbrochenen und neu gefassten Gedanken, das Assoziative. In seinem Ringen um das, was er sagen will, nähert er sich vielen Figuren seiner späteren Dramen – und dieser Brief wirkt endlich, endlich authentisch. Die disparate Form kommt zur Deckung mit einem disparaten Inhalt. Kleist kämpft mit sich und verleiht dem Kampf Form. Es ist kein Zufall, dass er in diesem Brief bekennt, dass er Dichter werden will: Da stünde mir nun für die Zukunft das ganze schriftstellerische Fach offen.Gerade ist wieder ein neuer Lebensentwurf ad acta gelegt worden – ach was, gleich zwei: Denn von der großartigen Reise nach Würzburg mit ach so großen Möglichkeiten ist verblüffend wenig übrig geblieben außer Schulden bei Ulrike und Brockes; Kleist ist in Berlin zur Tagesordnung zurückgekehrt, bald schon stellt er Wilhelmine neue Denkaufgaben. Und sein neuer Versuch, ins bürgerliche Leben einzusteigen, scheitert schon im Anlauf: Kleist hatte sich beworben um eine Hospitanz bei einer Behörde, bekam die Hospitanz bewilligt und verpasste gleich die erste Sitzung. In seinem Brief bekennt er erstmals freimütig:
Ich will kein Amt nehmen. (…) Ich soll thun, was der Staat von mir verlangt, u. doch soll ich nicht untersuchen, ob das, was er von mir verlangt, gut ist. Zu seinen unbekannten Zwecken soll ich ein bloßes Werkzeug sein – ich kann es nicht. (…) Nein, Wilhemine, es geht nicht, ich passe mich für kein Amt. Ich bin auch wirklich zu ungeschickt, um es zu führen. Ordnung, Genauigkeit, Geduld, Unverdrossenheit, das sind Eigenschaften, die bei einem Amt unentbehrlich sind, u. die mir doch ganz fehlen.
Ich will es nicht – und ich kann es nicht. So ehrlich ist Kleist selten bis nie in seinen Briefen mit sich gewesen, und man liest es mit Erleichterung. Natürlich, er wird diese neue Einschätzung seiner selbst noch ein paar mal umwerfen, immer aus der Not heraus, eine feste Position im Leben zum Überleben zu brauchen. Aber am 13. November 1800 ist sein Leidensdruck groß genug, sich selbst seine Unfähigkeit zum bürgerlichen Leben einzugestehen.
Seinen Wunsch, auch ohne gefestigte berufliche Existenz bald zu heiraten, trägt er Wilhelmine offen und flehend vor. Wir wissen, es kam nicht dazu. Es ist anrührend zu lesen, wie verzweifelt Kleist nach seiner Position sucht, wie er sich selbst versucht zu ermutigen: Ich bin doch ein guter Mensch! Ich kann etwas!
Und wieder eine Briefpassage, die sich schwerlich nicht von Kleists Ende her lesen lässt:
Und wenn ich auch auf dieser Erde nirgends meinen Platz finden sollte, so finde ich vielleicht auf einem andern Sterne einen um so bessern.