Schön ist, dass ich Heinrich von Kleist wenig vorbelastet begegnen durfte.
Die erste Begegnung mit ihm war gleich eine der schönsten und folgenreichsten: Günter Best, mein höchst verdienstreicher Deutschlehrer in der Oberstufe, gab uns Über das Marionettentheater zu lesen, und von der fundamentalen Klugheit und Schönheit dieses kleinen Textes zehre ich bis heute. Keiner meiner späteren Schauspielschüler kam an diesem Aufsatz vorbei, und er ist für mich heute noch einer der wundersamsten, umfassendsten Texte über den Menschen schlechthin.
Je mehr ich mich in Kleist einlas – und ich bekenne: wirklich tief habe ich mich noch gar nicht eingelesen, ich habe riesige Lücken, die ich 2011 stopfen möchte –, desto mehr gewann ich den seltsamen Eindruck, dass Kleist womöglich selbst nicht wusste, welch großartige, tiefe, von einer großen Neugier und Liebe geprägten Wahrheiten er über „den Menschen“ da vermittelte. Als wüsste er gar nicht, welche Liebe zum Menschen ihn eigentlich erfüllte. Es fällt schwer zu glauben, dass er mit einem Stück wie Prinz Friedrich von Homburg, das eine zutiefst erschütternde Szene über einen Soldaten in Todesangst, zugleich Held des Stücks, enthält, die Anerkennung ausgerechnet von Soldaten gewinnen wollte; und die Lektüre diverser politischer Schriften aus den napoleonischen Kriegen will auch auf den ersten Blick nicht recht zu den unglaublichen zarten Szenen einer Alkmene aus Amphitryon passen.
Bei der einführenden Lektüre der Kleistbiographie von Jens Bisky verspürte ich mehr als einmal den Impuls, Kleist zu schütteln, ihm links und rechts Ohrfeigen zu geben oder zu sonstigen sehr physischen Methoden zu greifen, um diesen Kerl auf das rechte Gleis zu setzen. Himmel, was hat dieser Mensch für einen unglaublichen Mist gebaut! Und dabei, irgendwie traumwandlerisch wie viele seiner Figuren, die vielleicht schönsten, wahrsten, dabei kunstvollsten Zeilen in deutscher Sprache geschrieben.
Ich liebe Kleist, seitdem ich den ersten Aufsatz von ihm gelesen habe. 2011 versuche ich, meiner Liebe zu diesem Kerl und seinen Texten eine bessere Grundlage zu geben. Ich möchte verstehen, warum ich diesen Kerl und seine Texte liebe, und das geht am besten über die genaue Lektüre seiner Texte selbst.
Erst in meinem Studium bekam ich eine Ahnung davon, welcher Wust von Sekundärliteratur Kleist und sein Werk umgibt, und ich gewann mehr und mehr den Eindruck, dass viele Beiträge von Literaturwissenschaftlern den Blick auf ihn nicht unbedingt klären. Ich gehe davon aus, dass im Rahmen des Kleistjahrs die eine oder andere neue Gesamtschau auf ihn in der Presse und in neuen Büchern eröffnet wird, und ich werde im Rahmen dieses Blogs auch darüber schreiben – aber eher am Rande.
Im Zentrum meiner Lesereise durch das Kleistsche Universum steht sein Werk, und immer wieder auch das, was sein Werk in mir persönlich auslöst. Ich denke, ein Blog ist eine gute Form dafür, zeitlich begrenzt auf das Jahr 2011.
Ich freue mich, wenn mich andere Menschen auf dieser kleinen Reise begleiten. Die Ausrüstung findet sich hier, und Kommentare, ergänzende Hinweise und was auch immer sind herzlich willkommen.
Los geht’s!