Wann Kleists Erzählung Der Zweikampf entstanden ist, ist nicht überliefert – wie fast durchgehend bei ihm üblich, hat er auch über den Entstehungsprozess dieses Werks in seinen bekannten Briefen nichts, aber auch gar nichts geschrieben. Veröffentlicht wurde sie, u.a. mit der ebenfalls undatierten Geschichte Die Verlobung in St. Domingo, im zweiten Band seiner Erzählungen im Sommer 1811, noch zu Lebzeiten also. Beide fallen auf jeweils eigene Art ein wenig aus dem Rahmen.
Die Verlobung in St. Domingo bewegt sich kleisttypisch innerhalb eines Krisenszenarios: mitten in einem Bürgerkrieg Weiße gegen Schwarze. Anders als fast alle Kleist-Erzählungen kommt sie fast wie ein Drehbuch daher: Statt des gewohnten sachlichen Reportagetons, der z.B. Das Erdbeben in Chili kennzeichnet und wodurch eine betont kühle, entfernte Perspektive auf ein ungeheuerliches, emotional extrem aufgeladenes Geschehen eingenommen wird, wählt Kleist hier die direkte Sichtweise auf Augenhöhe mit seinen Protagonisten. Minutiös gibt er Dialoge wieder, beschreibt genau Mimik und Gestik und taucht tief in die beklemmende Atmosphäre ein. In einem bleibt er sich aber treu: Die Story endet einmal mehr in der Katastrophe, die männliche Hauptfigur erschießt vorschnell die Geliebte und danach sich selbst (durch einen Schuss in den Mund, die Suizidmethode, die später auch Kleist für sich selbst wählte), den Überlebenden bleibt mal wieder, Blut und Hirn von den Wänden zu kratzen. Am Jahresende verspüre ich, was die Enden von Kleists Erzählungen betrifft, eine leichte Müdigkeit – ein Überleben seiner Hauptfiguren hätte ich auch einmal schön gefunden.
Der Zweikampf war in meinem ganzen Kleistjahr das einzige Werk des Autors, das ich mit großem Widerwillen, quasi nur aus selbstauferlegter Pflicht zu Ende gelesen habe. Eine Geschichte, durch die mir kaum ein Durchblicken möglich war, in einem seltsam fiktiven Mittelalter, mit einer nicht enden wollenden und überaus kompliziert erzählten Exposition – und einem dann verblüffend billigen Höhepunkt, der der Erzählung den Titel gab, kurz: eine Erzählung, der es tatsächlich und nachhaltig nicht gelang, mich für sie einzunehmen. Sprachlich landet Kleist dabei verblüffenderweise zum Teil in reinem Kitsch. Da sagt jemand nicht einfach einen Satz, nein, er sagt ihn glühend; und jemand wendet sich nicht nur von jemand anderem ab, er tut es verachtungsvoll. Es wird nicht geheult, sondern es werden grundsätzlich heiße Thränen auf das Tuch niedergeweint, und wenn es ganz schlimm wird, steigt ihm die Thräne heißen männlichen Schmerzes ins Auge.
Ist das das Prosa-Pendant zu Kleists kommerziellem Zugeständnis an den Theaterzeitgeschmack Das Käthchen von Heilbronn? Jedenfalls war ich froh, als ich die über dreißig Seiten, die mir wie hundert vorkamen, hinter mir hatte.
Eine kleine Empfehlung noch am Rande: Die heilige Cäcilie oder Die Gewalt der Musik gehört zu den weniger bekannten Geschichten Kleists, fasziniert aber auf ihren kaum mehr als zehn Seiten durch hohe Stringenz, große Spannung und ungewöhnliche Auflösung. Wieder einmal, durchaus zeittypisch, eine übersinnliche, diesmal religiös grundierte, Situation, in gewohnt virtuoser und atemloser Manier rasant erzählt. Ein kleines Schmuckstück.