Kleist und der Zeitgeist

Kleist war immer dann sehr gut, wenn er sein eigenes Ding gemacht hat. Auch Der Zerbrochne Krug und Penthesilea können natürlich auf Vorbilder und Traditionen zurückgeführt werden, und doch sind sie, jedes Stück in seinem Genre, etwas ganz eigenes und bis heute singulär und meisterhaft. Wenn sich Kleist, vor dem Hintergrund seiner Geld- oder gar Existenznot, an einen echten oder vermeintlichen Zeitgeist ranwanzte, kam entweder etwas sehr disparates wie Das Käthchen von Heilbronn oder Die Herrmannsschlacht heraus (weil der einzigartige, befremdende, spannende Kleist dann doch an jeder Ecke hervorlugte) oder etwas wirklich schlechtes. Zu der letzteren Gruppe gehören diverse Hasspamphlete, die gern unter dem euphemistischen Titel „Politische Lyrik“ zusammengefasst werden.

Dass Kleist ein zunehmendes Problem mit der Besetzung durch die französischen Truppen bekam, kann man in seinem Brief an Ulrike von Kleist vom August 1808 ahnen:

Gleichwohl ist die Bedingung, unter der ich hier lebe; noch erträglich, und ich fürchte sehr, daß es euch Allen nicht besser geht. Ich habe jetzt wieder ein Stück, durch den hiesigen Maître de plaisir, Grf. Vizthum, an die Sächsische Hauptbühne verkauft, und denke dies, wenn mich der Krieg nicht stört, auch nach Wien zu thun; doch nach Berlin geht es nicht, weil dort nur Übersetzungen kleiner französischer Stücke gegeben werden; und in Cassel ist gar das deutsche Theater ganz abgeschafft und ein französisches an die Stelle gesetzt worden. So wird es wohl, wenn Gott nicht hilft, überall werden. Wer weiß, ob jemand noch, nach hundert Jahren, in dieser Gegend deutsch spricht.

Hier befürchtet jemand, der sein gesamtes Leben bisher damit beschäftigt war, Fuß zu fassen, Lebensentwürfe zu entwickeln, wieder fallen zu lassen und finanziell auch nur halbwegs über die prekären Runden zu kommen, dass ihm endgültig die Lebensgrundlage, die deutsche Sprache, entzogen wird. Von einem Hass auf die Franzosen ist aber hier nicht wirklich etwas zu spüren, es ist das Stöhnen unter sehr schwierigen Lebensbedingungen, gemischt mit Fatalismus, zudem in einem klassischen Kontext bei Briefen an seine Schwester: Er möchte sich mal wieder von ihr Geld leihen.

Nur ein Jahr später schreibt Kleist u.a. folgende Zeilen über die Franzosen:

Alle Plätze, Trift’ und Stätten,
Färbt mit ihren Knochen weiß;
Welchen Rab’ und Fuchs verschmähten,
Gebet ihn den Fischen preis;
Dämmt den Rhein mit ihren Leichen;
Laßt, gestäuft von ihrem Bein,
Schäumend um die Pfalz ihn weichen,
Und ihn dann die Gränze sein!

Eine Lustjagd, wie wenn Schützen
Auf die Spur dem Wolfe sitzen!
Schlagt ihn todt! Das Weltgericht
Fragt euch nach den Gründen nicht!

Die Ode, aus der diese Strophe stammt, Germania an ihre Kinder, ist die berüchtigste aller Hetztiraden Kleists, und außer überzeugten Nationalsozialisten, die Franken nur durch „Juden“ ersetzen mussten, um sich 1A-Nazilyrik zu bauen, schaut die Welt fassungslos auf diese Machwerke. Es ist nur schwer vorstellbar, dass ein so an Menschen interessierter Künstler wie Kleist innerhalb kürzester Zeit zum Vernichtungs­propagandisten mutieren kann, der den Franzmann (im Kriegslied der Deutschen) mit unverzüglich zu vernichtendem Ungeziefer gleichsetzt. Aus den privaten Briefen nachzuvollziehen ist diese Entwicklung kaum, ein ideologisches Gedankengebäude, aus dem man eine Entwicklung des Künstlers zum potentiell terrroristischen Schläfer ablesen könnte, lässt sich nicht finden.

Hinweise gibt es dafür darauf, dass sich Kleist ein neues Geschäftsmodell aufzubauen erhoffte: Vom erfolglosen Produzenten nicht gedruckter und gespielter, erst postum als Meisterwerk klassifizierter Stücke und Erzählungen hin zum gut bezahlten Propagandaautoren der Deutschen. In seinem Brief an Heinrich Joseph von Collin vom 20. und 23. April 1809 schreibt er: Geben Sie die Gedichte, wenn sie Ihnen gefallen, Degen oder wem Sie wollen, in öffentliche Blätter zu rücken, oder auch einzeln (nur nicht zusammenhängend, weil ich eine größere Sammlung herausgeben will) zu drucken; ich wollte, ich hätte eine Stimme von Erz, und könnte sie, vom Harz herab, den Deutschen absingen.

Aber wir wissen: Auch das hat nicht geklappt. Die Herrmannsschlacht, die von Kleist auch als Propagandastück gedacht war, wurde zu Lebzeiten nicht gedruckt oder aufgeführt, es kursierten nur einzelne Manuskripte; und seine Flugblätter, für die er (zunächst) nicht einmal Geld wollte, kamen nicht unters Volk. Sein Versuch, nach dem Ende des Kulturmagazins Phöbus eine patriotische Wochenzeitschrift Germania herauszubringen, scheiterte grandios, das Blatt wurde gar nicht zugelassen. In seinem Brief an Ulrike von Kleist vom 17. Juli 1809 schreibt er, nachdem sich der Germania-Plan zerschlagen hat: So lange ich lebe, vereinigte sich noch nicht soviel, um mir eine frohe Zukunft hoffen zu lassen; und nun vernichten die letzten Vorfälle nicht nur diese Unternehmung – sie vernichten meine ganze Thätigkeit überhaupt.

Der Lebensentwurf Hetzpropaganda als Einnahmequelle scheitert. Kleist hatte sich mit vollem Einsatz in dieses zweifelhafte Feld geworfen, sein Hang zu Gewaltphantasien wird ihm dabei sicher geholfen haben. Nachdem ihm bewusst geworden ist, dass auch daraus nichts wird, bricht er, nach allem, was wir wissen, zusammen: Für ein halbes Jahr sind keinerlei Briefe überliefert, der Brief an Ulrike ist sein vorerst letzter; lange kursieren Gerüchte, er sei gestorben. Ende 1809 taucht er wieder auf, es besteht Grund zu der Annahme: aus einer tiefen Depression.

Über martinfueg

Martin Füg studierte Neuere Deutsche Literaturwissenschaft und Theaterwissenschaft in Bonn und Erlangen. In Erlangen gründete und leitete er gemeinsam mit Kerstin Bürger und Patrick Fuchs das Freie Theater DWARD. 1999 löste sich DWARD auf. Seit 2000 lebt und arbeitet Martin Füg in Köln. Von 2004 bis 2012 war er Vorsitzender des Bach-Vereins Köln.
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