Kleist hat in mehreren Briefen seine beiden Frauenfiguren Penthesilea und Käthchen miteinander verglichen und sie als zwei Seiten einer Medaille dargestellt: Denn wer das Käthchen liebt, dem kann die Penthesilea nicht ganz unbegreiflich sein, sie gehören ja wie das + und – der Algebra zusammen und sind ein und dasselbe Wesen, nur unter entgegengesetzten Beziehungen gedacht, schreibt er z.B. in seinem Brief an Heinrich von Collin vom 8. Dezember 1808. Was meint er damit? Zwei bedingungslos liebende Frauen, könnte man vielleicht sagen, die für ihr Ziel, den Mann zu bekommen, den sie lieben, bis an die ultimative Grenze gehen. Und Kleist versucht in beiden Stücken, diese Grenze auszuloten und schreckt vor auch heute noch schockierenden Tabuverletzungen wie Kannibalismus nicht zurück. So weit, so hinterfragenswert.
Ich kann mich des Gefühls nicht erwehren, dass Kleists mehrfache Beteuerungen, Penthesilea und Käthchen müssten zusammen gelesen werden, eher vor einem Marketinghintergrund entstanden sind – lustigerweise bei Kleist selbst eher mit der Intention, nach einem halbwegs geglückten Erfolg mit dem Käthchen für die von der zeitgenössischen Kritik eher abgelehnte Penthesilea mehr Aufmerksamkeit zu erzeugen, während es heute vielleicht eher umgekehrt funktioniert: Die Penthesilea ist sicher der größere Wurf, und Das Käthchen von Heilbronn wird vermutlich kein besseres Stück, wenn auf den Plakaten in riesigen Lettern „Vom Autor der Penthesilea“ steht.
Käthchen rennt hinter Graf Wetter vom Strahl her, heute würden wir sie vermutlich eine Stalkerin nennen, und der behandelt sie von Anfang bis Ende wie den letzten Dreck, was sie nicht hindert, weiter hinter ihm her zu rennen. Ich möchte das eigentlich nicht Liebe nennen, es ist eine extreme, durchaus (da sind wir wieder bei den Tabuverletzungen) schockierende Abhängigkeit, und Kleist findet viele Szenen, die das deutlich machen.
Faszinierend ist dieses unbedingte Wollen von Käthchen, so wie Menschen, die ganz genau und unbeirrbar wissen, was sie wollen, über alle Grenzen hinweg, immer faszinierend sind. Aber während in Penthesilea das ungeheure, bis zur Vernichtung reichende Gefühl zwischen Achill und der Titelfigur extrem gedrängt auf wenige Stunden gezeigt wird – und dadurch glaubwürdig und, bei allem Befremden, doch verblüffend nachvollziehbar bleibt (denn wer kann ein Rasen vor Verliebtheit und/oder erotischer Anziehung nicht nachvollziehen), so zieht sich die Handlung des Käthchens von Heilbronn über Tage, Wochen hin, und um hier ein übergroßes Gefühl für einen anderen Menschen glaubhaft zu machen, muss Kleist große Motive auffahren: Übersinnliches, gemeinsame Träume in der Silvesternacht, bis hin zur unglaublichen Auflösung des Ganzen, dass Käthchen eigentlich das uneheliche Kind des Kaisers ist. Das rumpelt dramaturgisch und logisch ganz gewaltig, und manche Szenen, z.B. der wortgewaltige Monolog des Kaisers, in dem ihm einfällt, dass er vor sechzehn Jahren mit Käthchens Mutter im Bett war, gönne ich keinem Regisseur und keinem Schauspieler, die um Motivation und Glaubwürdigkeit auf der Bühne bemüht sind.
Und dann ist da noch diese Szene, in der Graf Wetter vom Strahl mit dem schlafenden Käthchen spricht. Ein Mann, der mit einer schlafenden Frau zugange ist, war uns erst unlängst, dort im Text auf einen Gedankenstrich reduziert, in der Marquise von O…. begegnet. Diesmal kommt es immerhin nicht zur Vergewaltigung, sondern nur zu einer Art Liebesszene. Auch in Penthesilea ist ein Höhepunkt die Szene mit Achill und der ohnmächtigen Amazonenkönigin. Das Schlafwandlerische, Verträumte, irgendwie Jenseits-von-dieser-Welt-Seiende, das ist immer der ganz große Herzklopf-Moment bei Kleist, schon angelegt in der eigenartigen, surreal-erotischen Kleidertauschszene in der Familie Schroffenstein, und in den Schluss-Szenen vom Prinz Friedrich von Homburg vielleicht am schönsten gefasst. Die entsprechende Szene im Käthchen erscheint mir dabei als dramaturgisch-handwerklich schwächste, gezwungenste. Das Gefühl, dass Kleist dieses Stück ziemlich fix niederschrieb, um einen kommerziellen Erfolg zu erzielen, ließ mich auch bei dieser Szene keinen Moment los.
Warum Männer und Frauen bei Kleist offenbar nicht in der Lage sind, tagsüber, wach und bei Verstand miteinander wie erwachsene Menschen zu kommunizieren, meinetwegen auch unter Austausch von Zärtlichkeiten und anderen Bekundungen gegenseitiger Wertschätzung, darüber demnächst mehr.