Es hat sich diese Woche ergeben, dass ich Kleists Stück Das Käthchen von Heilbronn und den frisch erschienenen 10. Band aller „Onkel Dagobert“-Geschichten von Carl Barks parallel gelesen habe. Größere Stapel von mehr oder weniger gleichzeitig gelesenen Büchern auf dem Nachttisch sind ja nichts ungewöhnliches; dass die Lektüre des einen die Lektüre des anderen erhellt, ist aber ein glücklicher Zufall.
Vor meinem geistigen Auge entstand beim Lesen des Käthchens wie von allein ein 20-Pager aus der Feder des großen Duckzeichners, und als Comic machte das Stück dann in der Tat keine ganz schlechte Figur. Bösewichtin Kunigunde wurde natürlich von Dagobert Ducks großer Widersacherin Gundel Gaukeley (links) gespielt, und bei Dagoberts schottischen Vorfahren machte es natürlich auch keine Mühe, sich diverse Enten in Ritterrüstungen (unten) vorzustellen.
Carl Barks’ Liebe zu großen pseudohistorischen Stoffen harmonierte hervorragend mit diesem großen historischen Ritterschauspiel, wie Kleist selbst es nennt, ein Untertitel, der beim Publikum sicher gut ankam, aber so wenig mit echter Geschichte zu tun hat wie Carl Barks’ Donald Duck-Comics. Aber was soll’s, Disney-Comics und dieses Stück sind beide für ein großes Publikum geschrieben, und da kommt es zunächst einmal nicht auf jedes Detail an, wenn die große Mischung stimmt: Donner und Blitz, Feuer und Wasser, einstürzende Brücken, Engelserscheinungen, viel Volk auf der Bühne, gute und böse Zauberei – Kleist fährt alles auf, und anders als in Penthesilea, wo ein kostenbewusstes Theater auf die laut Regieanweisung im Hintergrund durchziehenden Kampfelefanten auch einmal verzichten kann, sind die vor wilden Gebirgsbächen scheuenden Pferde aus dem Käthchen nicht so einfach zu streichen. Die Ausstattung macht’s hier, wie heute im großen Musical oder im Blockbusterkino – dann besteht auch die Chance, dass das Publikum über die Schwächen der Handlung und die zuweilen hilflose Dialogführung gnädig hinweg sieht.
„Drum schonet mir an diesem Tag Prospekte nicht und nicht Maschinen“, heißt es in Goethes Vorspiel zu Faust I, und das passt gut auch auf Kleists Käthchen. Kleist wollte einen Publikumserfolg schreiben und schmiss alles zusammen, was in der Romantik gerade en vogue war, Pseudomittelalter, Sagen und Legenden, große Gefühle. Das Stück brachte es am Ende tatsächlich auf ein paar Inszenierungen zu Lebzeiten. Inwieweit das Stück heute noch taugt, darüber demnächst mehr.