Kleist schreibt einen Liebesbrief an Wilhelmine.
Nun gut, das Wort „Liebe“ kommt um 1800 / 1801 doch ständig in seinen Briefen an sie vor. Das Besondere an diesem Brief an Wilhelmine von Zenge vom 31. Januar 1801 ist, dass die Liebe nicht wirklich Wilhelmine gilt, sondern Kleists Freund Brockes, mit dem Kleist viel Zeit auf seiner Würzburg-Reise verbracht hatte. Von den über acht Druckseiten des Briefes drehen sich sieben ausschließlich um Brockes. Sie lesen sich flüssig, Kleist ist völlig euphorisch, wenn er nur an diesen Mann denkt, und Wilhelmine bekommt die große Ladung Emotion, Begeisterung, Schwärmerei ab, die Kleist ihr sonst in seinen Briefen vorenthält, und sie muss ertragen, dass diese große Gefühlswelle leider nicht ihr gilt.
Wilhelmine selbst gelten nur wenige, geschraubte und in ihrer Konjunktivkonstruktion ziemlich verkopfte Sätze – wohl von Kleist irgendwie als Liebeserklärung gedacht. Er bezieht sich auf einen Brief von ihr:
Besonders der Blick, den Du mir diesmal in Dein Herz voll Liebe hast werfen lassen, hat mir unaussprechliche Freude gewährt – obschon das Ganze, um mir Vertrauen zu der Wahrheit Deiner Neigung einzuflößen, eigentlich nicht nöthig war. Wenn Du mich nicht liebtest, so müßtest Du verachtungswürdig sein und ich, wenn ich es von Dir nicht glaubte.
Eine glasklare Liebeserklärung an Wilhelmine in allen diesen Briefen zu finden, ist nicht einfach. Es gibt fast immer ein irgendwie geartetes obschon, oft verbunden mit tadelnden Worten wie hier. Was hat diese Frau empfunden, als sie erst diese eigenartigen Sätze – und dann wenige Zeilen tiefer das hier lesen musste:
Laß mich jetzt einmal ein Wort von meinem Freunde Brokes reden, von dem mein Herz ganz voll ist – Er hat mich verlassen, er ist nach Mecklenburg gegangen, dort ein Amt anzutreten, das seiner wartet – – und mit ihm habe ich den einzigen Menschen in dieser volkreichen Königsstadt verloren, der mein Freund war, den einzigen, den ich recht wahrhaft ehrte u. liebte, den einzigen, für den ich in Berlin Herz und Gefühl haben konnte, den einzigen, dem ich es ganz geöffnet hatte u. der jede, auch selbst seine geheimsten Falten kannte. Von keinem Andern kann ich dies letzte sagen, Niemand versteht mich ganz, Niemand kann mich ganz verstehen, als er u. Du – ja selbst Du vielleicht, liebe Wilhelmine, wirst mich u. meine künftigen Handlungen nie ganz verstehen, wenn Du nicht für das, was ich höher achte, als die Liebe, einen so hohen Sinn fassen kannst, als er. (…) Ja wenn Du unter den Mädchen wärst, was dieser unter den Männern – –
Ja, was dann?
Laut lesen hilft. Die große Hymne auf Brockes, die sich über weitere sieben Seiten erstreckt, ist fast atemlos, eine große Welle von Begeisterung und Liebe. Auch wenn es um 1800 nicht unüblich war, der Freundschaft unter Männern zu huldigen – wer bei der Lektüre von Kleists Briefen an Wilhelmine so etwas wie Gefühl vermisste, hier wird er endlich fündig. Schade für Wilhelmine, dass diese Gefühle offensichtlich nicht ihr gelten. Und man fragt sich, warum Kleist ihr das antut. Ich kann ein derartiges Verhalten eigentlich nur nachvollziehen unter der Prämisse, dass Kleist sich seiner Gefühle für Brockes nicht bewusst war. Dass ihm, ganz unschuldig, sein Herz überschwappte nach dem sicher schmerzlichen Abschied von ihm und Wilhelmine als eine dann ja doch irgendwie vertraute die ganze Ladung abbekam.
Ach, es ist schon bitter.